maiBeck

Kein Aushängeschild der Sternegastronomie

Zwei ungültige Menüs, Service-Mitarbeiter, die nicht wissen, was sie servieren und viel Tam Tam um nichts. Wir sind im maiBeck in Köln. Ein MICHELIN Stern. Zwei Hauben vom Gault&Millau. Ein Restaurant, das einen niederschwelligen Einstieg in die Sterne-Gastronomie bieten will. Ein Vier-Gänge-Menü für nur 55 Euro. Schön anzuschauen, geschmacklich eine herbe Enttäuschung. Wer hier seinen ersten Berührungspunkt mit der Sternegastronomie hat, wird wohl so schnell keinen zweiten Versuch wagen.

Eine organisatorische Katastrophe

Es ist November, als wir das MaiBeck für unseren nächsten Restaurantbesuch auswählen. Die ersten Erfahrungen hier waren zwar nicht berauschend, aber wir hoffen, dass die Küche damals einfach einen schlechten Tag hatte. Also auf ein Neues! Auf der Webseite finden wir leider nur ein Menü von August. Na gut, denken wir uns. Dann lassen wir uns eben überraschen, freuen uns, als wir am Abend unseres Besuches dann noch eine mit Tesafilm an die Tür geklebte Karte sehen. Die Gänge lesen sich toll, die Vorfreude steigt. Wir werden freundlich begrüßt, dürfen uns einen Tisch aussuchen. Als wir wenig später neben dem großen Fenster Platz nehmen, wird uns die Speisekarte gereicht. Doch hier steht wieder ein anderes Menü. Welches gilt denn nun? Servicemitarbeiter Sascha wirkt auf Nachfrage etwas verlegen, kann uns mit seinem Charme aber schnell für sich gewinnen. Auf diese Weise hätten die Gäste doch erst recht einen Grund, mal vorbeizuschauen. Um zu sehen, was es letztendlich gibt, lächelt Sascha. Tatsächlich würde das Menü circa alle zwei Wochen geändert. Ein Rhythmus, auf den man sich mit den Lieferanten einigen konnte, damit diese überhaupt hinterherkommen. Eigentlich würde man sogar eine höhere Frequenz anstreben. Uns gefällt der Ansatz, die Möglichkeit zur Abwechslung. Klingt aber auch nach einer echten Herausforderung, erwidern wir. Lassen uns von Sascha noch mitteilen, dass das Tagesgericht Pasta mit Ochsenschwanz ist. Wir bestellen dann doch lieber das Vier-Gänge-Menü. Ich lasse mir einen alkoholfreien Aperitif empfehlen, der zu den besten zählt, die ich seit langem hatte.

Winterblattsalate: Feine Bitternoten und gekonnte Kontraste

Als der erste Gang serviert wird, staunen wir nicht schlecht. In einem tiefen Teller türmt sich ein kleines Kunstwerk. Wir sind gespannt auf die Erläuterung zum Gericht, lauschen der Kellnerin, die nach dem zweiten Versuch aufgibt. Wintersalate mit Ziegenkäse und Radicchio? Ein hilfesuchender Blick zur Kollegin. Schulterzucken. Wintersalate halt. Gut, dann lesen wir eben nochmal auf dem Foto nach, das wir von der Karte gemacht haben. Nicht, dass es schlimm ist, wenn mal etwas vergessen wird. Was uns stört, ist, dass es den Servicemitarbeitern schlichtweg völlig egal zu sein scheint. Unsere Recherche ergibt: Winterblattsalate aus dem Vorgebirge, Ziegenquark vom Vulkanhof, Holunder. Wir mögen den regionalen Ansatz, der auch im Einleitungstext der Speisekarte immer wieder betont wird. Der erste Bissen lässt einen kurz das Gesicht verziehen. An die doch sehr bittere Note muss man sich erst gewöhnen. Allerdings wird sie perfekt durch den cremigen Ziegenkäse kontrastiert. Uns gefällt diese Gradwanderung. Ein mutiges Gericht, das überzeugt. Gabel für Gabel taucht man in eine kulinarische Welt ein, die den Winter nicht besser repräsentieren könnte.

Ein kulinarisches Altersheim

Die Zeit zwischen den Gängen fühlt sich verhältnismäßig lang an. Wir lassen den Blick durchs Restaurant schweifen, sind vor allem über den Altersschnitt erstaunt. Sollte sich in einem Restaurant, das einen niederschwelligen Eintritt in die Sternegastronomie bieten soll, nicht auch jüngeres Publikum finden? Wir scheinen die einzigen Gäste unter 50 zu sein, der Großteil wirkt sogar deutlich älter als 60. Plötzlich haben wir irgendwie das Gefühl uns in einem luxuriösen Altersheim zu befinden. Dazu tragen auch der Bistro-Charakter, die fehlenden Gardinen und die atmosphärische Kälte bei. Sei es drum, heute geht es ums Essen. Klare Linien können ja auch etwas für sich haben. Und die Einrichtung ist durchaus edel und geschmackvoll.

Lachsforelle: Tolle Texturen ohne viel Geschmack

Den zweiten Gang kann die Servicedame komplett aufzählen: Lachsforelle aus dem Lambachtal, weiße Bohne, Bohnen-Kimchi, Taggiasca-Oliven. Lachsforellen aus Aquakultur haben jetzt Saison, aber mit den Oliven wirkt das Gericht nicht sonderlich winterlich. Ein Bruch, der nicht mutig, sondern deplatziert wirkt. Das Spiel mit den Konsistenzen ist toll. Highlight sind die weißen Bohnen. Der Geschmack aber ist lasch. Man mag fast schon sagen fad. Ein Gang so schüchtern und zurückhaltend, dass er sich verliert. Schade, denn man kann förmlich greifen, was dieses Gericht für ein Potenzial hat. Wenn man ihm nur etwas mehr Liebe gewidmet hätte. Es ist das erste Mal, dass am Konzept der schnellen Menüwechsel Zweifel aufkommen. Kann man überhaupt alle zwei Wochen ein Vier-Gänge-Menü auf Sterneniveau konzipieren? Der Lachs schreit ganz laut nein. Man scheint sich zu überholen. Gefangen im selbstgewählten Takt. Das zeigt sich auch an den nicht polierten Tellern. Die weisen durchweg leichte Schlieren und Wasserflecken auf. Bei einem Michelin-Stern darf das einfach nicht passieren.

Kalbshaxe: Optisches Highlight, aromatischer Reinfall

Mit dem Hauptgang wird die wohl größte Enttäuschung des Abends in den Raum getragen. Münsterländer Kalbshaxe und Fred’s Flönz, Schwarzkohl, 3mal Karotte von Norbert Pesch. Der Bezug zu Köln ist willkommen. Die Optik wirklich fein, wenn auch inkonsistent. Jeder Teller sieht anders aus. Ob gewollt oder aus Versehen lässt sich nicht sagen. Stört uns aber auch nicht. Kartoffeln und Soße werden separat gereicht. Willkommene Interaktion. Aber auch nur so lange, bis man kostet. Nein, grundsätzlich ist an diesem Gericht nichts falsch. Zumindest gibt es keine technischen Fehler. Das Fleisch hat den perfekten Garpunkt, ist butterzart. Das Ganze auf Wirsing zu betten, wirklich eine fantastische Idee. Aber wer schmeckt hier denn ab? Die Sauce ist so dünn, das sie an Spülwasser erinnert. Schmeckt faktisch nach nichts. Die Kartoffeln sind lieblos. Keine Röstaromen, kein Eigengeschmack. Da kocht jede Oma besser. Und wahrscheinlich sogar jeder Student. Bei jeder einzelnen Komponente fehlt es an Gewürzen. Vor allem an Salz. Es ist eine Beleidigung an die hochwertigen Produkte, die hier zum Einsatz kommen.

Eine ernüchternde Erkenntnis

Wir tauschen enttäuschte Blicke aus. Ich sehe, dass es nicht nur mir so geht. “Da schmeckt es doch in jedem Brauhaus besser”, sagt meine Begleitung fast schon erbost. “Eine ziemliche Enttäuschung”, sind sich auch unsere Freunde einig. “Wenn das Sterneküche sein soll, brauchen wir das so schnell nicht wieder.” Wir essen auf. Mehr wegen des Hungers als aus Gründen des Genusses. Ein Griff zum Glas. Leer. Wer nicht aktiv nachfragt, sitzt hier schnell auf dem Trockenen. Die jungen Service-Mitarbeiter wirken extrem unerfahren. Scheinen sich teilweise nicht mal zu trauen, die Teller abzuräumen. Mehr aus Unsicherheit als aus Desinteresse. Aber warum nimmt sie dann niemand an die Hand?

Domino-Dessert: Als hätte sich der Praktikant ausgetobt

Das Abschluss des Vier-Gänge-Menüs: Ein dekonstruierter Dominostein. Nur, dass es überhaupt nicht nach Dominosteinen schmeckt. Die Servicemitarbeiterin erklärt die Komponenten. Dieses Mal flüssig, vollständig, sogar mit einem Hauch Begeisterung in der Stimme. Bis sie zum Kürbis kommt. “Und ja, den wollten die Chefs halt drauf haben.” Wir schmunzeln. Dann bittere Gewissheit: Was toll klang, wirkt tatsächlich wie draufgeklatscht. Der Kürbis passt nur nicht zum Gericht, er versaut es. Ich kratze ihn runter. “Zuhause richtest du aber schöner an”, murmelt meine Begleitung. Ja, hier wird die mangelnde Liebe erstmals auch optisch deutlich. Pünktchen, Würfel, Nocke. Ein Spiel mit den Formen. Amateurhaft umgesetzt. Das Schokoschnittchen trocken. Marzipan geschmacklich nicht existent. Das fruchtige Gel ein Lichtblick. Wäre da nicht die langweilige Schokocreme. Das Aprikosensorbet ist gut. In den meisten Eisdielen ist es besser. Die Teigwürfel haben richtige Fehlnoten. Das ist keine Geschmackssache mehr. Das ist, man muss es leider so klar und deutlich sagen: schlecht. Dieses Dessert ist kein glanzvoller Abschluss eines Menüs. Es ist der Todesstoß.

Ein Bärendienst für die Sternegastronomie

Wir geben gerne gutes Trinkgeld, aber hier fällt es zum ersten Mal seit langem schwer, mehr als nur aufzurunden. Wir werden nicht gefragt, wie es uns geschmeckt hat. Besser so. Oder kennt man die Antwort schon? Als wir das Restaurant verlassen und die Rheinpromenade entlangschlendern, gibt es dann eine traurige Premiere: Es ist das erste Mal, dass ich mich für eine Restaurantauswahl entschuldige. Ein vergebendes Lächeln. Aber man sieht: diese Entschuldigung war nötig. Von Sternegastronomie wollen unsere Freunde erst Mal nichts mehr wissen. Schade. Wir hatten gehofft, der Besuch würde ihnen eine neue Welt zugänglich machen. Aber das MaiBeck öffnet nicht die Tür zur Sternegastronomie. Es schließt sie.

Nachtrag: Einen Tag nach Veröffentlichung der Restaurantkritik erreichte mich eine Mail von Restaurantbesitzer Jan C. Maier, dass er und sein Team sich die Punkte einzeln vornehmen, die Ansätze genau anschauen und notwendige Korrekturen angehen werden. Eine Nachricht, die mich sehr freut. Ist sie schließlich nicht nur absolut professionell, sondern auch sehr sympatisch.

Wir besuchten das Restaurant am 27. November 2021 und hatten 4 x FÜR DICH Menü (4 Gänge) + eine Flasche Wasser + 2 x Fruchtsecco (Es wurden zwei statt einem Fruchtsecco berechnet, was jedoch erst nach Verlassen des Restaurants auffiel) + 1 x Traubensecco + 1 x Hellers Kölsch + 2 x Becks Blue + ein Hellers Wieß für insgesamt 258,30 Euro.

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